Ein kleines Rad im Getriebe

 

Meine Hände riechen nach Motoröl während ich die einzelnen Teile eines alten Mopedmotors auf der Werkbank sortiere.Ich schaue aus der Garage nach draussen,es ist Sommer und eigentlich könnte alles perfekt sein an diesem Tag.

Ich versuche mich zu beruhigen und meistens gelingt mir das sehr gut,hier in meiner kleinen Garage.Zwischen meinen alten Mofas und Fahrrädern einer längst vergangenen Zeit fühle ich mich sicher und geschützt. Geschützt vor der Welt um mich herum,die sich immer schneller verändert.

Zuerst musste ich mich auf Coronamaßnahmen einstellen,das hat lange gedauert.Ich glaube,es hat nur funktioniert weil mir Orte und Tätigkeiten die mir vertraut sind geblieben sind.

Unter der Isolation habe ich schon etwas gelitten,aber hier in meiner Garage war ich vor all dem bewahrt. Bewahrt vor der Verunsicherung und Einschränkungen.

Während hier für mich die Zeit ein wenig still steht und ich Ruhe finden kann,überschlagen sich die Ereignisse ausserhalb meiner kleinen Welt.

Am frühen Abend lese ich oft,was in der Welt um mich herum für mich von Bedeutung sein könnte.Viele Informationen kann ich schlecht filtern und sauge sie gerne wie ein Schwamm auf.Leider merke ich oft zu spät,dass es mir schadet.Auch kann ich deren Wahrheitsgehalt und Stellenwert ganz schlecht einschätzen.

Durch den Klimawandel haben sich in den nächsten Jahren viele Veränderungen angekündigt,die mir erstmal Angst machen.So sollen alle mit Benzin betriebenen Fahrzeuge ersetzt werden durch lautlose,sauberere,akkubetriebene Fahrzeuge.

Meine Mofas und mein Roller brauchen leider Benzin und tragen auch zum Klimawandel bei.Das war mir immer schon klar.Ich habe mir erlaubt,Sonntags mal damit zu fahren,als Auszeit von einer Woche Fahrradfahren,Putzen,Werkeln und vor allem Angst haben.

Ich mag auch alte Fahrräder,aber mit einer Vespa zu fahren ist für mich ein Stück Lebensqualität.Zumal ich das gute Stück selbst restauriert habe und jede Schraube bis hin zum kleinsten Zahnrad kenne.Ich höre wie der Motor funktioniert und war bisher ein wenig stolz,dass ich mich damit auskenne. 

All das könnte bald vorbei sein,vielleicht schon in wenigen Jahren.Moderne akkubetriebene Fahrräder,Roller sind längst willkommener als meine alten Blech-Knatter-Mobile.

Selbst Fahrräder sind heute elektrisch und meine bisherigen Kenntnisse hören bei einer Nabenschaltung und Lampen vorne und hinten auf.

Kurz gesagt,alles was ich mir beigebracht habe,all meine Freuden und kleinen Inseln in diesem grossen Chaos scheinen unterzugehen.

Ich fühle mich falsch und nicht mehr gebraucht in dieser Welt,noch mehr isoliert und "anders" als ich es ohnehin schon bin.

Diese Angst wird mir wieder bewusst,stürzt mich in einen tiefen Abgrund.

Ich versuche mir zu helfen,begebe mich wieder ins Internet.Tagelang lese ich in Foren und Wissenschaftsmagazinen.Noch nie habe ich soviel über CO2 Emissionen und alternative Antriebe gelesen.Ich erlebe eine Achterbahnfahrt der Gefühle,Nachrichten und Meinungen lassen mich abstürzen oder geben mir kurz Hoffnung.

Am Ende bleibt ein grosses Fragezeichen.Mein Akku ist leer. Ich fühle mich erschöpft und abgekämpft.Tagelang habe ich innerlich versucht mich zu stabilisieren zu Retten,zu Schützen vor den Veränderungen in der Welt. 

Was bedeutet das für mich? Habe ich ein Recht,meinen Tag weiterhin so zu gestalten ?

Bin ich willkommen so wie ich bin ?

Geblieben bin ich der Gleiche.Meine Freuden und Gefühle kann ich schlecht ändern oder abstellen.Es geht kurzfristig,langfristig werde ich immer depressiver dadurch.

Ich bin derjenige geblieben,der alte Fahrräder und Mofas restauriert,der gerne mit öligen Fingern Zahnräder sortiert und sich dabei wohlfühlt.

Mir fallen schöne Situationen ein,vor einigen Wochen habe ich mit dem Sohn meiner Nachbarin das Fahrrad repariert.Er war begeistert von mir .Begeistert sind auch Menschen,die mal kurz Einblick in meine kleine Welt erhalten.

Manchmal sitze ich dann auf dem Boden am Garagentor,poliere altes Eisen,während eine Frau,die zwei Häuser weiter wohnt sich mit mir unterhält.Sie kommt öfter mal vorbei und spricht gerne mit mir.

Ein anderer Nachbar bekommt von mir Ersatzteile für seine alte Fünfgang-Nabe,während eine Frau,die mein Mofa sah,sich an früher an ihre Jugend erinnert hat.

Das sind Momente,in denen ich mich zwar anders,aber dennoch bestätigt in einigen Teilen meiner kleinen Welt fühle.

Leider sind solche Momente selten,weil im Alltag der Kontakt zumeist über Floskeln und smalltalk verläuft.Wir setzen Masken auf und bewegen uns dabei immer schneller und kontaktloser zu uns selbst durch die Welt,denke ich manchmal.

Wie und wo gibt es das,das Gefühl in seiner Welt angenommen,angekommen zu sein ?

Wie riecht es dort,welche Geräusche sind zu hören ?

Was auch immer geschieht um mich herum,ich bin nur ein kleines Zahnrad in einem grossen Getriebe. Aber es ist schön,wenn dieses Zahnrad seine Berechtigung hat ,egal was auch passiert.

Meinen Motor bekomme ich heute nicht fertig,aber das macht nichts,ich lasse mir Zeit.

Ich bin dankbar für jeden Tag in meiner kleinen Welt.