Zwischen-Welten (2021)


Noch einmal rücke ich die Maske zurecht in meinem Gesicht.
Zwei leuchtende Punkte nähern sich aus dem Dunkel dieses Januarmorgen.
Es sind nur wenige Fahrgäste mit mir unterwegs Richtung Hauptbahnhof,in jener Strassenbahn,die mich in die Realität zurückführt.
Ich bin 22 Tage ausgestiegen aus meinem Leben zuhause,einer Zweiraumwohnung im Bremer Umland.Ich stemple zitternd die Fahrkarte ab,nehme den Sitzplatz am Fenster,neben mir wie immer meine zwei Reisetaschen.


Ich weiss nicht,wie oft ich schon gewandert bin zwischen den Welten,meinem Alltag zuhause und einem stationären Aufenthalt in der Psychiatrie.Und doch ist es jedesmal anders in der Klinik.

Es ist bereits mein zweiter Aufenthalt während der Pandemie,denn das Leben hinter einer Maske geht mir tüchtig an die Substanz. Es gibt soviele Regeln,soviele scheinbar lebenswichtige Gebote während der Corona-Pandemie.Zu der inneren Angst paart sich eine gesellschaftliche Krise,eine Naturkatastrophe,wie man es auch immer nennen möchte.


Es ist skuril,denn meine Welt,die aus vielen Regeln besteht sieht vor,vorsichtig im Kontakt mit anderen Menschen zu sein.
Ich habe äusserst wenige soziale Kontakte,ob mit oder ohne Maske,was das angeht ist mein Leben überschaubar.
Ich verreise nicht oft und weit,meide Menschenansammlungen und bin selten Abends noch unterwegs.

Trotzdem werde ich schon lange geimpft mit Verhaltensmaßregeln,die alles sehr schwierig machen.
Ich atme so gut es geht durch unter der Maske und blicke nochmal auf mein Smartphone.Eine Mitpatientin wünscht mir auf diesem Wege nochmal viel Kraft für zuhause.


Die Menschen in der Psychiatrie wissen,was dieser Tag für mich bedeutet.
Die drei Wochen waren sehr erholsam für mich.Ich hatte weniger Angst,musste weniger ordnen,putzen,sortieren und mich gegen die Angst stemmen.
Wir haben oft gelacht und gute Gespräche geführt.

Man hat mich so akzeptiert wie ich bin,ich hatte wenig Erklärungsbedarf.
Besonders positiv war das Lob,welches ich für meine Malerei dort bekommen habe.Ich traf verstaunte,begeisterte Menschen.Hier draussen,in der sogenannten Realität fehlt mir oft die Kraft und auch der Mut mit der Malerei an die Öffentlichkeit zu gehen.

Letztendlich bin ich kein professioneller Maler und werde niemals von meiner Kunst leben können.Es gibt nur wenige,die mich auf diesem Weg fördern und mir Mut machen.Ich merke an diesem Morgen,wie sich die selbstabwertenden Gedanken langsam wieder zu mir gesellen.Wie ein schwerer Mantel,den ich hier draussen tragen muss.


Ich bin dankbar,daß ich die Zeit in der Klinik nutzen konnte,die Weihnachtsfeiertage und einen Zahnarztbesuch,bei dem ich einen Weisheitszahn einbüsste zu überstehen.
Zuhause verliere ich viel Kraft durch meine Zwänge und die tausend Anforderungen des Alltags.Auch durch komplizierte Gänge zum Amt,durch sovieles was ich beachten muss,um diesen Ort bewohnen zu können.


So erreiche ich den Hauptbahnhof mit meinem schweren Gepäck und stelle fest,daß die Coronamaßnahmen auch Vorteile haben.Die Bahnhofsvorhalle ist recht leer und niemand rempelt mich an.Was für ein Gegensatz zu Wochenenden,an denen Bundesligaspiele stattfanden und es hier fast unerträglich laut war.


Im Zug nachhause blicke ich aus dem Fenster,draussen wird es langsam Tag.Ich habe eine ganze Sitzgruppe für mich alleine. Ich lese auf meinem Smartphone,daß meine Nachbarin sich freut mich wiederzusehen.Mit jedem Kilometer Wintermorgen freue ich mich auch auf mein kleines eigenes Reich. Es ist und bleibt für mich kein leichter Alltag dort zu leben,aber es gibt sie ,die Momente in denen auch dort alles stimmt.


Es wäre schön,wenn es mehr Verständnis gäbe für autistische Menschen,gerade zu Zeiten der Pandemie.Umsomehr freue ich mich auf die kleinen Lichtmomente zuhause,die ich in der Klinik nicht erlebt habe.


Ja,es sind zwei verschiedene Welten zwischen denen ich mich bewege.Nur so kann ich mein Gleichgewicht halten .


Jetzt bin ich erstmal wieder zuhause,schliesse die Tür und versuche das Beste draus zu machen.
Danke mein Leben,daß Du mich bis hierhin getragen hast-