Unterwegs mit Autismus,Verreisen mit Hindernissen und Glücksmomenten

 


Viele Gedanken beschäftigen mich während ich aus dem Zugfenster auf die grossen Industrieanlagen im Ruhrgebiet schaue. Ich war eine Woche bei meinen Eltern,die für mich,gefühlt, am anderen Ende der Welt wohnen.Dabei leben sie am Niederrhein,etwa 400 Kilometer und vier Stunden Zugreise weit entfernt.Verreissen fällt mir schon immer sehr schwer,auch wenn mein Blog den Titel Seelenreise trägt.Ich reise nicht oft,aber ich reise wahrlich intensiv.

Die Zeit unterwegs beschäftigt mich so sehr,daß sie noch lange vor meinem inneren Auge abläuft,nachdem ich bereits zuhause wieder eingekehrt bin.Nicht nur die Tage danach,sondern schon Wochen zuvor bereite ich meine kleinen Landkartensprünge vor. Ich überlege was ich nützliches mitnehme,was ich am Körper trage,meine Kleidung spielt dabei eine grosse Rolle.Man könnte es dem Autismus zuschreiben oder als kleine Verrücktheit bezeichnen,doch ich besitze zeitlebens kein Gefühl für Mode.Kleidung muss mir guttun.Die Dinge in meinen Taschen,bzw.Rucksack (ich verreise mit der Bahn) sind meist Geschenke für meine Eltern,Werkzeuge welche wir benötigen und noch viele andere Gegenstände,mit denen ich mich in den Tagen ausserhalb meines Alltages beschäftige.Muss ich in die Klinik,brauche ich leider mehr Kleidung,die Aufenthalte sind länger.Platz für meine Farben und Pinsel sowie Bastelkram bleiben immer.Wenn es ginge,würde ich noch meine ganze Garage einpacken und mitnehmen,vorrausgesetzt sie bleibt ordentlich und sauber.

Nichts gibt mir mehr Vertrauen als bekannte Orte mit schönen Erinnerungen und regelmässigen Abläufen (und mäßig regen Abläufen) .Die schwierigste Reise war der Weg vom Niederrhein nach Hamburg (vorrübergehender Wohnsitz in einer Klinik).Weniger dramatisch,dennoch eine Herausforderung sind Klinikbesuche und leichter ist der Weg zu meinen Eltern.Warum fällt mir Verreisen so schwer,wenn es doch für neurotypische Menschen zu den schönsten Erlebnissen des Jahres zählt ? Nun,ich kompensiere das grosse Monster Angst mit ziemlich viel Ordnung,Sauberkeit,Vorhersehbarkeit und Routinen.Auf Reisen geht das meiste davon verloren.Ich orientiere mich,wie im Schwebezustand eines Astronauten (mir gefällt der Vergleich) und finde nirgends richtig Halt. Kenne ich die Zwischenstationen ist es ein ganz wenig leichter.Ein Beispiel,auf dieser Reise sind Uhrzeit und Streckenverlauf des Zuges schon mehrfach von mir krisenerprobt und gut überstanden worden.Leider muss ich auf dieser Reise durch ein Stück alten Bettbezuges atmen,wir haben in der Coronakrise eine ziemlich verrückte Phase.Mir den Virus einzufangen auf der Zugtoilette macht mir weniger Angst,als das Wiederankommen zuhause.

Rückkehr fühlt sich für mich in den ersten beiden Tagen nicht sonderlich erleichternd an.Im Gepäck sind neben einer Masse an Eindrücken,viele Gegenstände die irgendwo eingeräumt,verstaut bis zur nächsten Reise,gewaschen und an ihren richtigen Ort sortiert werden müssen.Für viele Menschen hat das Zeit,sie schütten sich zuerst Kaffee auf,plaudern mit Nachbarn,Familie etc.Genau in diesen Stunden öffne ich mit pulsierendem Herz den Briefkasten (wieder Stress mit Hartz4 ? Rechnungen?) beantworte meinem Nachbarn die neugierige Frage wo ich denn gewesen bin,schaue auf meinen Balkon und sehe tausend Dinge die sich verändert haben.Eine Welle aus Eindrücken ergiesst sich über mich und ich schwimme im Meer des Chaos.Dann fange ich an,ich putze,wasche,sortiere,beantworte Briefe,zahle Rechnungen,giesse Blumen,setze den Balkon in den Normalzustand,putze Fenster,Böden,Regale,alles was mir in den Blick fällt.Das kuriose,es hilft mir zuhause wieder anzukommen.Wenn mein Herz zur Ruhe kommt,erst dann kann ich sagen,das war ein schöner Urlaub.Ich freue mich dieses Mal,daß ich meinen Eltern helfen konnte den Balkon winterferig zu machen oder deren Baustellen in der Wohnung abzubauen.Nebenbei haben wir viel gelacht und waren uns physisch und psychisch nahe.

Der Gewinn

Ja,trotz aller Umstände empfinde ich meine kleinen,grossen Reisen als Qualitätsgewinn meines Lebens.Wenn auch der positive Aspekt erst nach einigen Tagen zuhause richtig zur Geltung kommt,so würde ich die Hürden gerne weiterhin nehmen.Die Coronazeit ist eine etwas höhere Hürde,nicht wegen der Ansteckungsgefahr,sondern mir fehlt die Sicht auf schöne Dinge,wenn ich z.B. mit meinen Eltern vor dem Fernseher sitze.Ältere Menschen haben halt die Angst und Unsicherheit,so wie ich meine Unsicherheiten habe.Umso schöner ist es,wenn ich sie gemeistert habe und als Gewinn verbuchen kann.Reisen mit Asperger fällt nicht jedem schwer,einige lieben sogar Auslandsaufenthalte oder Städteurlaube.Beides wären immens grosse Belastungen für mich.Vielleicht wäre das eine Herausforderung für die Zukunft.Aber ehrlichgesagt fühlen sich Städte für mich sehr anstrengend an.Ich bin zufrieden mit meinen kleinen Turns,auch wenn sie für Umstehende zu einseitig wären.Dafür spüre ich all die kleinen Momente nochmal nach.

Tips fürs Verreisen ?!

Mir hilft eine Reise in frühen Zügen,die noch menschenleerer sind,es ist oft noch dunkel wenn ich losfahre.Nicht allzuviele Aussenreize dringen auf mich ein.Ziele sorgsam wählen:Was ist vertraut,sichert etwas Ruhe? Was möchte ich dort mit Freude machen,was könnte anstrengend werden ?Lassen sich Besuche bei Angehörigen oder Freunden zeitlich und räumlich so gestalten,daß es mir nicht schlecht geht dabei ?Vertraute Dinge mitnehmen,Fotografieren,Natur beobachten. 

Im Notfall eine Bedarfsmedikation einnehmen,den Körper in angenehme Kleidung hüllen.Ein Lieblingsgetränk mitnehmen.Eine To-do-Liste machen für die Reise und die Zeit danach.

Mir hilft es,die Rückkehr so einfach wie möglich zu gestalten.Meine Nachbarin hat einen einen Schlüssel und kann mir so helfen,wenn ich nicht da bin.Vorher aufräumen,vielleicht schon haltbare Lebensmittel bevorraten oder wieder mitbringen.

Es ist von Vorteil wenn Mitmenschen wissen,was gerade in mir vorgeht.Die Angst,die mit Unsicherheit kommt kann vielleicht gemeinsam besprochen werden.

Diese letzte Herbstreise 2020 habe ich geschafft trotz Corona,Asperger,Hartz4 und Maskenpflicht. Gerne plane ich weitere Reisen,doch der Autor dieses Artikels braucht jetzt erstmal wieder Vertrautheit des Zuhauses und Zeit,die Reise innelich ins Fotoalbum des Lebens zu ordnen 

Gute Reise,ob mit oder ohne Asperger !