Jenseits der Routine - Mit Autismus in die Psychiatrie ?

 

Autismus wird in den Medien oft als eine niedliche Eigenschaft dargestellt.Inselbegabte und Savants werden als typisch autistisch dargestellt.Das sind sie bei weitem nicht. 

Wer selbst von Autismus betroffen ist,oder Angehörige im Spektrum hat,weiss dass diese Menschen oft psychische und körperliche Komorbitäten haben.Hier möchte ich auf die seelischen Beeinträchtigungen eingehen,die sich in Form von Depressionen,Ängsten,Zwangshandlungen und Gedanken,aber auch in Persönlichkeitsstörungen äussern. Persönlichkeitsstörungen und Autismus schliessen sich nicht unbedingt gegenseitig aus,sondern können zugleich vorhanden sein. 

Rücken diese Beschwerden zunehmenst in den Vordergrund und führen zu hohem Leidensdruck für den Betroffenen,aber auch die Angehörigen,so wird häufig ein Aufenthalt in der Psychiatrie erwogen.

Gerade beim ersten Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik löst dies starke zusätzliche Ängste und Befürchtungen aus.Können dort die so wichtigen Routinen und Rituale fortgesetzt werden ? Bleibt genug Raum für Rückzug und Stimming? Wie strukturiert sich der Tag dort ?Was wird von mir erwartet ? Dies sind nur einige wenige Probleme,die Autisten mit in die Klinik nehmen. 

Gewohntes und vertraute Personen verlieren sich schon an der Eingangstür,der Schwelle zu einem neurotypischem Umfeld,in dem auch andere Krankheitsbilder behandelt werden. Es gibt so gut wie keine auf Autismus spezialisierten Kliniken,zumindest im Akutbereich.

Wie habe ich es erlebt ?

Schon beim Einräumen der mitgebrachten Sachen,stellt sich mir ein fremder Mensch vor,mein Zimmernachbar. Ich schreibe nun in der Ich-Perspektive weiter,da dieser Artikel auch ein eigener Erfahrungsbericht sein soll.Aufgeregt räume ich alle Sachen an ihren Ort. Badartikel ins Bad/WC.Der Wasserhahn voll festgetrockneter Zahnpasta ist wohl von heute Morgen.Meine Kleidung in den abschliessbaren Schrank,wohl sortiert.Ich schliesse meinen Schrank ab,zumindest bis ich mein fremdes Gegenüber kenne. Seinen Namen merke ich mir,denn wir müssen uns leider diesen Raum teilen während der nächsten Tage.Und schon hier hebt sich mein Stresslevel. Nun bin ich mit Psychiatrie vertraut,mit meinen fünfzig Jahren,vielleicht auch mein Zimmernachbar,der vom Alter her mein Sohn sein könnte.

Mir bleibt wenig Zeit mich runterzuregulieren,da steht schon das Aufnahmegespräch an.Wer tief im Spektrum ist könnte schon hier Schwierigkeiten haben sich und seine Gefühle überhaupt mitzuteilen. Es wäre hilfreich wenn nahestehende Personen dabei helfen könnten,zumindest zu Beginn des Gespräches,das später aber von Auge zu Auge geführt werden sollte,auch wenn Autisten nicht in die Augen schauen können,laut Medien.

Mir werden neben vielen Fragen zur Erfassung des psychischen und körperlichen Zustandes auch zum Ende des Gespräches Therapien verordnet.Nächstes Problem an diesem so chaotischem Tag. Ich bin mir sicher,dass mich diese Therapien zum Teil überfordern oder nicht effektiv helfen bei meinem Weg der Genesung,wenn man das überhaupt so nennen möchte.

Kunsttherapie,jau,das ist was für mich. Morgenaktivierung in Form eines Spazierganges ist auch OK,doch danach wird es schwierig. Sensorische Integration liegt im Mittelfeld meiner Nützlichkeitsskala.Es geht in dieser Therapie um die Wahrnehmung und Verarbeitung aller Sinneseindrücke ( Hören,Sehen,Tasten usw...).Doch fühle ich nicht schon genug ? Reicht meine Reizüberflutung nicht als optischer und sensorischer Overflow ? Der Raum riecht gut nach ätherischen Ölen und ein an der Decke montierter Sitzsack ist sehr entspannend.Übrigens,Autisten schaukeln gerne ! Also nehme ich diese Therapie mit,im Gegensatz zu Achtsamkeitsübungen,Progressiver Muskelentspannung und Gruppenpsychotherapie.Beim Aufnahmegespräch habe ich wenig Chancen diese Therapien abzulehnen.Trotz meiner zahlreichen Psychiatriebehandlungen höre ich mir immer wieder Depressionsmodelle,Teufelskreise der Vermeidung und weitere psychoedukative Themen an. Die Inhalte sind mir vertraut.Meist verlasse ich die Gruppentherapie mit Overloads und Meltdowns.Ein schlecht gelüfteter Raum in den bis zu zehn Menschen von ihren Eheproblemen oder Alkoholeskapaden berichten führt schnell dazu.Später,zurück aus der Gruppentherapie auf Station versteht keiner was gerade in mir abläuft.Mir werden Skills angeboten,die den Zustand nicht sonderlich bessern.Meist lege ich mich ins Bett,ziehe die Decke über den Kopf und reguliere mich herunter. 

Problem Nachtruhe

Wer kennt es nicht,den Schnarcher im Nachbarbett des Doppelzimmers. Bereits am Ankunftstag sehe ich die Probleme die sich daraus ergeben schon in der Mittagspause.Mein Zimmernachbar legt sich hin und keine zehn Minuten später geht das Geschnarche los.Blutdruck steigt,Adrenalin und Cortisol schiessen mir in den Kopf.Noch kann ich das Problem nicht ansprechen bei der Pflege,was mir ohnehin schon schwer fällt.In der ersten Nacht,in der ich meist sehr wenig schlafe. So beginnt mein Kampf mit dem Lärm bereits um 22 Uhr.Die Nachtschwester verteilt wie so oft Ohrenstöpsel,es gibt sie in Wachs als auch Schaumstoffform.Gemeinsamkeit beider Ohrenproppen?Sie helfen nicht.

Mit dem Pflegeteam ergab sich im weiteren Aufenthalt ein Kampf ums Übernachten im Stationsbad.Stationsbad ? Ja,das Bett kann in den fensterlosen Kachelraum hineingeschoben werden.Toilette ist mit drin.So habe ich einige Nächte dort schlafen dürfen,mit Ausnahmegenehmigung.Auch Notfälle werden dort Nachts untergebracht.Nicht dass ein Zimmernachbar schon Stress ist für Autisten,ein schnarchender ist es umso mehr. Die Situation eskalierte mehrmals und ich fühlte mich nicht verstanden in meinem Empfinden. "Dies ist ein Krankenhaus,kein Hotel", "Ihr Nachbar schnarcht nicht sagt die Nachtwache".Das sind die Phrasen der Stationsleitung,die mir drei Wochen keine andere Lösung bieten konnte und diesen Konflikt sogar im Entlassbericht aufführte.

Autismusfreundlich ist diese psychiatrische Klinik nicht.Zum Glück habe ich auch andere Erfahrungen gemacht und bin auf Empathie gestossen.

Die zahlreichen Therapien sind Stressfaktoren für einen Grossteil der Autisten,die mit Reizüberflutung und Overloads zu kämpfen haben.Fehlt man dort gibt es erneut die Konfrontation mit der Pflege.Nimmt man allen Mut zusammen und lehnt die belastenden Therapien ab stösst man nicht gerade auf Verständnis für diese Art der Selbstfürsorge.

Ich kenne bereits alle Therapiemöglichkeiten,habe sie jahrelang durchlaufen,irgendwann sind sie obsolet finde ich.Klar,Ausprobieren ist wichtig,aber dazu gehört auch Flexibilität und Verständnis in Bezug auf Autismus.Es wäre wichtig individuell zu schauen was gerade hilfreich ist und wo Autisten Rückzug brauchen,aber auch das nötige Maß an sozialen Kontakten.Wer das gut für sich spüren kann,dennoch keine Möglichkeit hat es für sich stückweise in der Psychiatrie anzuwenden,der leidet dort.Er (und sie natürlich genauso) wird sich anpassen im ungünstigsten Fall und alleine dadurch nicht im Einklang mit sich leben dort.

Es geht auch anders. 

Nicht jede Psychiatrie bietet Patienten mit Autismus schlechte Rahmenbedingungen.Wenn auch oft kein Einzelzimmer ermöglicht werden kann,dann jedoch ein gewisses Maß an Rücksicht.Rückzug,aber auch Konfrontation mit sozialen Anforderungen.So hatte ich in dieser Klinik die Möglichkeit Therapien abzulehnen,nachdem ich sie oft besucht habe in meinen Klinikaufenthalten,und wiederum andere öfter besuchen dürfen.So gibt es dort eine Kunsttherapie,die zu so etwas wie meinem "safe-place" geworden ist und mir nebenbei viel Lob einbrachte.Ich nutzte die Zeit dort auch mit Gesprächen über Kunst,Seele und meine Möglichkeit Einfluss auf die Probleme zuhause zu finden.Ressourcenorientiert ist das Stichwort,das nicht nur bei seelischen Problemen angesagt ist,sondern auch bei Autisten.

Der leitende Oberarzt,er hat selbst einen autistischen Sohn,merkte schnell in der Visite dass mir der Raum zu voll war und alleine das zeichnet ihn aus.In der Vergangenheit musste darum kämpfen dass mir Verständnis entgegengebracht wird und auf einmal ging es hier.

Auch hatte ich Mitpatienten im Spektrum die hier individuelle Hilfe erfuhren.Eine Mitpatientin hat während meines Aufenthaltes dort ihre Diagnose bekommen.Was das für sie bedeutet und welche Last von ihr abfiel war augenscheinlich sichtbar.

Ich beantworte gerne Fragen zum Thema Autismus und stationäre Psychiatrie.Mich selbst interessiert Eure Erfahrung. (email-Adresse siehe Titelseite)

Wo kamt Ihr gut zurecht,wo nicht ? Hat Euch das soziale Umfeld in der Klinik eher geholfen oder war es eine Belastung,weil Ihr Euch angepasst habt oder nickend alles mitgemacht habt ?

Ich glaube in den nächsten Jahren wird viel in Bewegung kommen,was stationäre Therapie und Autismus betrifft.Alleine durch die steigende Zahl an Diagnosen.Neurodiversität ist keine Modeerscheinung,sondern das ans Licht kommen der einzelnen Probleme,die auf Autismus oder ADHS z.B. schliessen lassen.Auch die Zeit verändert das Verständnis von psychisch-neurologischen Phänomenen denen wir Namen geben in Form von Diagnosen.

Alles in allem hat mir die Psychiatrie geholfen,wenn auch nicht in jeder Klink,bzw.Aufenthalt.