Spezialinteressen und stereotypes Verhalten - Ordnung im Chaos ?


Im Filmklassiker "Und täglich grüsst das Murmeltier" wacht Bill Murray,in der Rolle eines Wetteransagers,jeden Morgen um 6 Uhr aufs Neue im gleichen Tag auf.Er ist sich dessen bewusst,was er immer wieder erleben wird.
Er begegnet den gleichen Menschen,jedes Detail wiederholt sich auf wundersame Weise immer wieder.
Irgendwann ist er dadurch in der Lage sich vorzubereiten ,auf jede noch so winzige Zufälligkeit dieses immer wiederkehrenden Tages.Leider endet dieser Tag und beginnt bei Null wieder von vorn.
Er hat nicht sonderlich Gefallen daran in jenem Film und versucht verzweifelt aus dieser Endlosschleife zu entfliehen.
Für einige Menschen wäre ein ähnliches Szenario vielleicht eine grosse Erleichterung.
Einem bekanntem,durchstrukturiertem Tag mit ab-und vorhersehbaren Ereignissen würden nicht nur ängstliche und zwanghafte Menschen einen gewissen Vorteil entlocken.
So ging es mir oft,abends im Bett liegend und darüber grübelnd,wie der nächste Tag wohl abläuft.
Wenn es irgendwie geht versuche ich Unvorhersehbares zu meiden und greife auf bereits bekannte Verhaltensweisen zurück.Auch auf Orte,Uhrzeiten,Rituale.
Jedem Psychologen stehen wahrscheinlich die Haare zu Berge,sollte man meinen "Tag des Murmeltiers" mal miterleben.

Mittlerweile weiss ich,dass ich damit nicht alleine bin.
Es gibt viele Menschen aus dem Autismusspektrum,die ihre Umwelt als chaotischen und unruhigen Ort erleben.
Einige von ihnen haben feste Gewohnheiten, Rituale, Zwänge oder Bewegungen mit denen sie Stresserleben kompensieren. 
Immerwiederkehrende Verhaltensweisen kennen jedoch alle Leser.
Sie sind nützlich,um unangenehme Situationen,Lücken oder Stress zu überbrücken.
Sei es das Vermeiden von "Auf-Fugen-Treten",das Spielen an den Haaren oder das häufige Verwenden bestimmter Worte oder Gesten.Kritzeleien während des Telefonierens,die anstrengende Gespräche ertragbarer machen sind doch Rituale die irgendeinen Vorteil verschaffen können.
Stereotype Verhaltensweisen sind nützlich um das Gehirn zu entlasten,in Stresssituationen oder unsicheren Momenten,im Schwebem im Raum.
Schweben im Raum,so würde ich auch Angst benennen,jenes Gefühl was aufkommt,wenn plötzlich alle umgebende Struktur sich ändert.
Und das geschieht jeden Tag,beim Aufwachen an unbekannten Orten,an Tagen mit neuen Aufgaben,beim Wechsel der Schulklasse früher,bei Krankheiten und und und...
Zwanghafte Rituale sind so etwas wie ein Versuch diese Unsicherheit zu überbrücken.
Das erste Mal bewusst gelitten darunter,habe ich jedoch erst ziemlich spät.
Die Zwänge mündeten in Depressionen und körperlicher,sowie seelischer Erschöpfung.
Erst allmählich gelingt es mir,mich damit anzufreunden,den Zwang als einen Teil meiner "Werkzeuge" anzunehmen.
Das bedeutet nicht,ihm grenzenlos Raum zu gewähren,vielmehr ihn als einen Indikator zu betrachten,der mir deutlich macht,wie hoch mein Stresslevel gerade ist.
Alternativen sind mühsam zu erlernen und es gibt immer wieder Rückschritte.

Spezialinteressen und Autismus ?
Verwundert darüber,warum ausgerechnet Technik,Kunst oder scheinbar banale Pläne und einzelne Objekte zum Spezielthema werden ,sind Mitmenschen immer wieder.
Manche begeistern sich sogar für die Inhalte,was ja auch durchaus angenehm ist.
Es liegt auch eine Ressource in den Interessen,den stundenlangen,jahre-oder lebenslangen Beschäftigungen mit den Themen.
Spezialinteresse Malerei zum Beispiel hilft mir,einen Bereich des visuellen Erlebens mit inneren Themen zu verknüpfen.
Ein Bild,welches ein Gefühl,Wunsch,Sehnsucht,was auch immer spiegelt,das sich im Innern immer wieder im Kreis dreht,kann ich dadurch ausdrücken.
Andere Themengebiete sind technische Konstruktionen,Messwerte,Mechanik,Elektronik,die viele Asperger-Autisten in den Bann ziehen.
Informatik,Mathematik,Physik,Chemie,alle Naturwissenschaften sind ebenso geläufig.
Alle dieser Felder bewegen sich innerhalb fester Gesetze,klar abgegrenzter Strukturen,die weltweit den gleichen Regeln gehorchen.
Spezialinteressen können eine Brücke sein zur Aussenwelt.
Sie werden auch kritisch betrachtet,wenn sich etwa der Mensch dadurch zu sehr in sich selbst zurückzieht.
Das passiert leider schnell.
So schön ein Treffen mit netten Menschen auch sein mag,so sehr fasziniert leider auch eine Maschine oder ein neues Projekt.
In extremen Zeiten vergesse ich die Welt um mich herum so sehr,dass abtauche für lange Zeit und fast keine sozialen Kontakte mehr habe.
Die müssen leider irgendwie organisiert werden und dabei gibt es wenig vorhersehbare Regeln und
verlässliche Verhaltensweisen.

Ich freue mich,wenn dieser Beitrag die ein oder andere Leserin,oder Leser angesprochen hat.
Lassen wir doch ein bißchen Murmeltier-Tag sein im Leben und täglich denoch aufs Neue offen sein für das Chaos dieser Welt...