Wieder hier - die Rückkehr Nachhause

Mit Schweissperlen auf der Stirn gehe ich die Treppe hinauf zu meiner Wohnung.
Die Telefonrechnung in der linken Hand,rechts halte ich den Koffer und die Plastiktüte mit den Hausschuhen und eine Tüte mit gebastelten Objekten aus der Ergotherapie.
Ein eher stickiger Geruch eröffnet sich mir hinter der Wohnungstür.
Ich greife zum Telefon,um nachzuschauen,ob jemand versucht hat mich zu erreichen.
Zu Erreichen war ich nicht in den letzten Wochen,ja Monaten,in denen aus Sommer allmählich Herbst geworden ist,ich war lange Zeit in der Klinik und dies hier alles ist meine Rückkehr nachhause.
Ich war an einigen Tagen zur Übernachtung auf Probe hier,die Blumen sind versorgt und die Post wurde auch regelmäßig von mir abgeholt.
Aber das ist etwas anderes,jetzt bin ich ohne Rückfahrschein hier....


(Bilder können vergrössert werden)

Was ist heute nur für ein Tag,an dem alles wieder anders ist ?
Wo sind die Menschen,die ich rund um die Uhr ansprechen konnte,wenn es mir schlecht ging.?
Der Tag hat plötzlich wieder 24 Stunden,anstatt die Zeit von Ergotherapie bis zur Stationsversammlung.
Was ist passiert,als ich damals den Koffer eingepackt hatte und diesen Ort verlassen hatte?
Es ist viel passiert.
Der Aufenthalt in der Klinik hat meine Sichtweise wieder verändert,ich sehe andere Dinge und Menschen,die ich vorher noch nicht kannte.
Sie haben mir heute Morgen noch "Viel Glück" , "Ich wünsche Dir Kraft und Mut" oder auch nur kurz "Tschüss" gesagt.
Die Telefonnummern von ihnen habe ich noch im Handy gespeichert,aber ich muss zugeben,daß ich die meisten,nach einigen Monaten oder Jahren,gelöscht habe,weil das Leben eines jeden einfach vielzu unterschiedlich ist und andere Wege geht.
Mitpatienten und das Pflegepersonal,sie waren für einige Wochen der Mikro-Kosmos um mich herum.
Sie haben mir Mut und Verständnis gegeben,oder mich Nachts nicht schlafen lassen,mit ihrem lauten Schnarchen.
Egal,was sie auch waren,sie sind jetzt erst mal weiter weg,die meisten für immer.
Da war die depressive Frau,deren Ehe eine Katastrophe wurde,wie auch der Alkoholiker,der seinen 23.Entzug machte,oder der junge Student,mit seiner mittlerweile dritten Psychose,nach dem Zivildienst.
Wir waren grundverschieden,aber für Wochen trotzdem gleich.
Es war einfacher,die eigenen Probleme,oder die,der Familie,zu verdauen.
Geteiltes Leid ist zumindest etwas leichter.
Die Angstzustände bekamen eine Stimme,die in der Klinik erhört wurde.
Nun,hier draussen,in der sogenannten "Realität",muss Angst wieder kompensiert werden.
Im Leben jenseits von Klinik muss man(n) oder Frau wieder so funktionieren,daß ein Überleben in der eigenen Umgebung möglich ist.
Mal abgesehen von den drei Mahlzeiten,plus Kuchen,die jetzt nicht mehr von einer Küche im Keller,regelmässig bereitstehen,hier zuhause ist alles wieder anders,hinter dieser Wohnungstür.
Die Schwierigkeiten im Umgang mit meinen Mitmenschen und Nachbarn,müssen von mir ge-coacht und reguliert werden,ohne den Rückhalt einer Station.Spannung und Konflikte liegen jeden Tag in diesem Leben vor mir,nichts funktioniert einfach und unkompliziert.
So erwarten mich Morgens die Aufgaben des grauen Alltags,anstatt das Aufwecken einer jungen Schwesterstimme,um sieben Uhr."Normale" Menschen nennen das den ganz normalen Alltag.
Mir fällt es schwer schrittzuhalten in dieser beschleunigten Welt.

Betrachten wir mal die andere Seite der Medaille,fehlt der vorhin erwähnte,schnarchende Zimmernachbar,die nervige Stationsversammlung genauso wie die stets präsente Stimme der manischen Mitpatientin.

Hier zuhause versaut keiner das Bad in dem Maße,wie ich es in den Wochen zuvor aushalten musste,mit meinen Zimmernachbarn.
Niemandem muss ich Rechenschaft ablegen,wenn ich das Haus nach 20 Uhr verlassen möchte und das Fernsehprogramm besteht nicht weiter aus dem fürchterlichen Quatsch,der morgens schon auf Privatsendern ausgestrahlt wird.
Ich freue mich,wieder hier vor meinem eigenen PC zu Sitzen und zu arbeiten.Gestern noch musste ich in die Spielothek, in Nähe der Klinik,um meine Emails abzulesen,ein fürchterlicher Ort...

 Das Leben neu entdecken
Am zweiten Tag meiner Heimkehr stelle ich fest,daß es ganz angenehm ist,eine CD aus dem Regal zu nehmen,die mich an eine schöne Zeit erinnert.
Ich lasse für einen Moment meine Anspannung los und versetze mich in diese Zeit zurück.
Warum habe ich es nicht schon eher gemacht ?
Warum bin ich im Hausflur vor meinen Nachbarn geflüchtet,anstatt mit ihnen zu sprechen?
Wie weit war ich fort von mir selbst und bin es jetzt noch ?
Die Klinik war nur der erste Schritt,einen Teil von mir wiederzubeleben.
Anfangs funktionierte das nur im geschützten Rahmen der Station.
Mir ging es schon oft so,daß ich eine Zeit durchlebe,die in Erinnerung ruft,wie groß die Möglichkeiten sind und wie eng der eigene Blickwinkel geworden ist.
Wer einfach einmal,ganz spontan,in den Himmel schaut,sieht plötzlich,wie groß die Welt um ihn herum ist und wie selten man es wahrnimmt.
Die Zeit nach der Klinik ist immer mit vielen neuen Eindrücken verbunden.
Der Körper reagiert mit starker Müdigkeit oder hoher Anspannung,denn die innere Uhr arbeitet wieder anders.
Es ist vielleicht vergleichbar mit der Heimkehr nach einer langer Reise,oder einem Umzug,in eine neue Stadt,mit anderen Menschen.
Auch der innere Fokus ist auf andere Inhalte verschoben,neue Kontakte sind entstanden und vielleicht auch Kontakte abgebrochen.
Meine Umwelt denkt oft,ich wäre wieder gesund,wäre wieder "der Alte".
Ich lasse sie in diesem Glauben,wer mich wirklich kennt,weiss,daß es keine Spontanheilung gibt und der Zeitraum für Veränderung weitaus grösser ist,als die Wochen in der Klinik.

Ich freue mich über meine Heimkehr und sehe vieles wieder positiver,der Akku ist wieder aufgeladen.
Ich bin den Menschen dankbar,die mir in dieser Zeit geholfen haben,mich selbst wiederzufinden.
Und so packe ich weiter meinen Koffer aus und stelle fest,daß das Leben auch hier zuhause nicht stillstand.