Trauer und Asperger


Zu den schmerzhaften,aber auch befreienden Gefühlen,gehört Trauer bzw. Abschied von etwas nehmen.
Sei es ein liebgewonnener Mensch,eine Gewohnheit oder Fähigkeit,ein Ort,oder eine vertraute Umgebung. Irgendwann begegnen wir der Traurigkeit,vielleicht am Anfang noch nicht bewusst,oder als Beobachtung bei anderen Personen,oft auch versteckt hinter Wut und Angst.
Mir fällt es generell sehr schwer,Trauer zuzulassen,am ehesten in der Stille,aus tiefem Bauchgefühl steigt eine gewaltige Energie dabei in mein Bewusstsein.
Wie sehr dabei Asperger eine Rolle spielt,war mir viele Jahre nicht bewusst.
Während meiner Kindheit wurde ein Grosselternteil,mit dem ich gerne und viel zusammen sein konnte,krank.
Bis in die Nacht hatte ich Angst,einen Menschen zu verlieren,der mir Halt und Struktur gab,in einer schier riesengrossen,nicht zu verstehenden Welt. Er schaffte es,mich in weiten Teilen zu erreichen und so stehen zu lassen,wie ich bin.
Diesen Menschen zu verlieren,erschien mir als das Schlimmste,was mir je passieren könnte.
Von Aussen betrachtet,konnte mir niemand das Ausmaß dieser Angst,dieses Schmerzes ansehen.
Ich war viele Jahre wütend oder innerlich nicht sonderlich gerührt,wenn nahestehende Menschen in Trauer zu beobachten waren.
So habe ich Trauer verdrängt,gemieden,mich so verhalten,dass Menschen auch durch mich nicht traurig werden.
Wann werden Menschen durch mich traurig ? Klar,wenn ich sie verlasse,wenn ich meine Bedürfnisse äussere auch gegen den Wunsch des anderen. Alle zufrieden zu stellen schien mir ein Verhalten,mit dem ich Trauer kontrollieren kann.
Es funktionierte offensichtlich viele Jahre. Ich war nicht unglücklich,ich lebte in meiner Welt,in der sich alles auf einem kleinen Bereich mit überschaubaren Personen,mit festen Gewohnheiten und Regeln beschränken konnte.
Als Jugendlicher wurde ich innerlich wütender auf meine Familie,jedoch unter dem Mantel des Verborgenen.
Abschiednehmen und die damit verbundene Traurigkeit wurde mir erst viel später und auch umso intensiver bewusst.
Irgendwann forderte das Leben von mir,die festen Gewohnheiten,all die Rituale,die schützende Kindheitswelt zu verlassen. Bis dahin war noch niemand aus dem engeren Umfeld gestorben.
Ich scheiterte mit jedem Versuch,die alte Welt festzuhalten.
In jener Zeit verliessen Mitschüler das Elternhaus,studierten,lebten ein gänzlich anderes Leben als ich. Umso schuldiger fühlte ich mich,den inneren Wunsch nach einem selbständigem Leben zwar zu spüren,aber nicht umsetzen zu können.
Die einsetzenden Depressionen kosteten alle Kraft und es fing an,Tränen zu fliessen,ob ich wollte oder nicht.
Der Schmerz dieses Lebens blieb mir lange verborgen,traf mich aber stärker als jemals zuvor.
Autismus bedeutet für mich nicht,kein Mitgefühl,oder Emotionen generell zu spüren,sondern nicht in der Lage zu sein,diese angemessen äussern zu können.
Selbst äusserlich begegne ich Menschen mit einem Lachen und strahlendem Blick und in mir tobt ein Orkan,ein Sturm aus Wut,Trauer,Angst,schwer zu kontrollieren.
Ich benötige viel Stille und Momente mit mir selbst,um mit diesen Gefühlen leben zu können.
Manchmal verstehen andere nicht,warum ich gerade abdrifte oder den Wunsch habe,allein zu sein.
Ich möchte die Trauer der anderen vermeiden,sie nicht damit belasten,oder in deren Anwesenheit meine Trauer zeigen.
Umgebungen und Menschen können mir plötzlich meine eigene Trauer bewusst werden lassen,wie ein Film,der stets im Hintergrund läuft und dann plötzlich ganz hell und laut wird.
Mit Trauer verbinde ich das Bild eines lauten Schreies ,als ein Schmerzruf,der so vehemmend ist,dass er mich selbst vernichtet.
Nach den Tränen fühle ich mich befreiter und das ist der entlastende Moment dieses Gefühls.
Wenn ich lange Zeit nicht an meine Trauer gelangen kann,gibt es Mittel diese bewusst zu machen.
Ich gehe auf die Suche nach einem verlorenen Gefühl,nach dem Schmerz eines kleinen Jungen.
Es scheint vielen Menschen ähnlich zu gehen,wieweit Asperger dabei Einfluss nimmt,werde ich nie herausfinden.
Ich weiss nur,dass ich den authentischen Gefühlen am ehesten in Ruhe und Abgeschiedenheit begegnen kann,mit eigenen Bildern verknüpft.
Noch heute gehe ich auf die Suche nach verschütteten Gefühlen,manchmal bewusst,doch das meiste bleibt wohl verborgen und das wird seinen Sinn haben.