In meinem Körper ist noch kein endgültiger Frieden eingekehrt,ich stecke mitten in der Krise,die mein Leben so sehr verändert.Dafür bin ich der Krankheit trotzdem dankbar,es wird anders,es wird schwieriger mich selbst zu belügen.
Das musst Du erzählen,denke ich oft,weil es eine unvergleichlich schwere Zeit meines Lebens ist.Es ist ein depressiver Eintrag,hier auf SeelenReise,und zugleich gibt es Hoffnung,Strohhalme an denen ich mich festhalte.Veränderung in allen Zeilen,Veränderung vom Aufstehen bis zum Schlafengehen,vom fehlenden Frühstück bis zum üppigen Abendmahl...
Himmel und Hölle...und doch voller LEBEN !
67 - Fahrt ins Ungewisse
Die ersten Schritte aus dem Bett nehme ich nicht wahr,eine bleierne Schwere zieht meinen leichten Körper zurück ins Bett.Da liege ich nun,mit 67 kg Körper inklusive Seele und weiss nicht was ich machen kann,um mich so zu belügen,daß mir dieser Tag erträglich vorkommt.
Die letzten Wochen habe ich in einer ständigen,unruhigen,ermüdenden Zwangsmühle verbracht.Putzen,wenig Essen,Heisshungeranfälle,körperliche Extremzustände,Schwindel,Rauschen in den Ohren,das ist alles was von mir übrig geblieben ist.
Ich fahre,nach mehreren Telefonaten,zur Psychiatrie,ins Nachbarkrankenhaus.
Doch dort ist kein freier Platz mehr.Viel weiter habe ich es nicht geschafft an diesem Tag,was danach kam war Zufall oder Schicksal.Auf Umwegen bin ich zur Hausärztin gekommen,zahlreiche Anrufe in allen Krankenhäusern der Umgebung.
Nur die Ameos-Klinik Osnabrück möchte mich haben an diesem Nachmittag im Sommer. Wie ich so bin, erstmal Panik,denn ich habe wenig Gutes von dort gehört.
Damit ich als braver Patient in den Notarztwagen einsteige und endlich nach Osnabrück fahre, Valium in den Po und Notfallliege ausgeklappt.
Als goldener Reiter blitzen mir Sonnenstrahlen in müde Augen,gefiltert durch Milchglasscheiben und es dringen Motorengeräusche in mein rauschendes Ohr,irgendwo auf der Autobahn....
Nach einer Stunde Fahrt und Schwebezustand vom Valium komme ich endlich an.
Das Pflegepersonal,eine unerwartet nette Runde aus Schwestern,einem Pfleger und dem Aufnahmearzt lässt meine Panik vor der Klinik etwas abschwächen.
Was mich ins Krankenhaus geführt hat,schildere ich dem Arzt und einer im Aufnahmegespräch anwesenden Schwester.
Ich erzähle von der Überlastung durch meine Zwänge und einer starken Kraftlosigkeit.Von Angst und Depression.
Natürlich erzähle ich erstmal nichts von meiner Essstörung,jenem Monster in mir,daß mich die letzten Wochen auffuttern wollte.
Meine grösste Befürchtung ist,zum Essen gezwungen oder darin kontrolliert zu werden.
Das Personal ist geschult und sieht natürlich was Sache ist.
Schwarz auf Weiss sehen sie es später nach einer Blutabnahme.
Der erste Abend war eine grosse Erleichterung für mich,ich war erst einmal raus aus dem Zwangssystem rund um mich und meinem Zuhause,das kein Zuhause mehr war.
Ich bekomme einen Platz im Dreibettzimmer,mit zwei freundlichen,jungen Männern.Abends gibt es Tee aus den grossen Kannen und zwei Scheiben Brot mit Käse auf dem Tablett.Ich esse alles auf,weil ich tagsüber nichts gegessen habe.
So kam ich nach Osnabrück und ahnte nicht,wie schwer die weitere Therapie werden sollte. Die Schäden,die ich an mir selbst angerichtet hatte waren viel grösser als ich an diesem Tag erahnte.
An den darauffolgenden Tagen spürte ich zunehmenst körperliche Schwäche,das Rauschen im Ohr war lauter.Schon ein kleiner Spaziergang in den begrünten Aussenbereich oder zum 500 Meter entfernten Discounter brachten mich an meine Grenzen.
Ich blieb zunächst eine Woche auf der Aufnahmestation für jüngere Patienten.Mit meinen fast vierzig Jahren gehörte ich zu den Ältesten.
Die jungen Damen und Herren um mich herum lebten in einer Welt aus Smartphones,Energydrinks und Adidasturnschuhen,bekamen ab und zu Besuch von den Eltern,die zum Teil mein Alter hatten.
Ich fühlte mich wohl unter den Patienten,weil ich,tief in mir noch der Junge war,der hilflos allein durch die Welt zieht.
Ich ließ mir,wenn das Schwindelgefühl und die Angst es zuliessen,Smartphones zeigen und ging mit,in den Discounter,in dem es an der Kasse Energydrinks gab,die leider auch an Heranwachsende in grösseren Mengen verkauft wurden.
Nach sieben Tagen wurde ich verlegt,auf eine Psychotherapiestation im Nachbargebäude,auf der anderen Strassenseite,400 Meter entfernt,die mir wie eine Weltreise vorkamen.
Ich war längst angekommen in Osnabrück und stürzte erstmals tief ab,so tief,wie ich es hier nicht schildern kann.
Während ich diese Zeilen schreibe (November2013),habe ich mich noch nicht wieder von der Angst und Depression lösen können und habe noch sehr wenig Abstand dazu.Dieser Eintrag fällt mir schwer,mir bedeutet er sehr viel,ich brauche ihn als ein Tagebuch,ein Erlebnisbericht,der mich durch diese Zeit begleitet.
... weiter geht es im nächsten Teil " Weniger geht kaum "
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